Bewältigung des komplexen Risikoumfelds in Österreich

Paul Spittau

4 Min. Lesedauer

In einer Zeit, die von geopolitischen Umbrüchen, wirtschaftlicher Volatilität und zunehmendem ökologischen Druck geprägt ist, sehen sich österreichische Unternehmen mit einem immer komplexer werdenden Risikoumfeld konfrontiert. In diesem Experteninterview gibt Andreas Schmitt, Vorstand Risiko- und Versicherungstechnik bei GrECo, Paul Johannes Spittau, Head of Group Carrier Relations & Insurance Mediation bei GrECo, wichtige Einblicke, wie diese Herausforderungen die Unternehmensrisiken und den Versicherungssektor verändern.

Auswirkungen geopolitischer, wirtschaftlicher und ökologischer Bedingungen

Spittau: Wie prägen die aktuellen geopolitischen, wirtschaftlichen und ökologischen Bedingungen in Verbindung mit den Herausforderungen für Unternehmen die Unternehmensrisikolandschaft in Österreich und was bedeuten diese Veränderungen für die Versicherungsbranche?

Schmitt: Österreichische Unternehmen bewegen sich in einem vielschichtigen Risikoumfeld, das durch das Zusammenspiel von geopolitischen Spannungen, wirtschaftlicher Stagnation und ökologischen Herausforderungen geprägt ist. Geopolitische Konflikte, wie beispielsweise in der Ukraine, in Verbindung mit der unvorhersehbaren Handelspolitik der USA, stören Lieferketten, treiben die Betriebskosten in die Höhe und schaffen ein Klima der Unsicherheit. Wirtschaftlich hält die Stagnation an, wobei hohe Inflationsraten – vor allem aufgrund volatiler Energiekosten – Druck auf die Gewinnmargen und langfristige Investitionspläne ausüben. Ökologisch gesehen verkompliziert die zunehmende Häufigkeit von Naturkatastrophen, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind, die Risikolandschaft weiter, wobei bestimmte Risiken immer mehr an die Grenze der Versicherbarkeit rücken. Darüber hinaus zwingt das Streben nach Klimaneutralität bis 2050 Unternehmen dazu, ihre Strategien und Abläufe zu überdenken, um sie an Nachhaltigkeitszielen auszurichten, was oft erhebliche Investitionen im Vorfeld erfordert.

Diese komplexen und miteinander verknüpften Herausforderungen verlangen von der Versicherungsbranche innovative Lösungen. Risikotransfermechanismen werden aufgrund der sich wandelnden Natur der Risiken immer komplexer und kostspieliger. Versicherer müssen sich anpassen, indem sie maßgeschneiderte, zukunftsorientierte Lösungen anbieten, die nicht nur traditionelle Risiken abdecken, sondern auch Unternehmen dabei unterstützen, Widerstandsfähigkeit gegenüber neuen Bedrohungen aufzubauen. Die Verbesserung der Risikomanagementpraktiken und die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Versicherern und Unternehmen werden entscheidend sein, um sich in diesem dynamischen Umfeld erfolgreich zu behaupten.

Spittau: Welche Wirtschaftssektoren oder Branchen werden in den kommenden Jahren mit erhöhten Investitionen rechnen können, und wie wird sich dieser Trend auf die Risikobranche auswirken?

Schmitt: Wir erwarten erhebliche Investitionen in die Digitalisierung und grüne Technologien, die die Branchen umgestalten und neue Chancen und Herausforderungen für den Risikobereich mit sich bringen werden. KI revolutioniert Branchen wie den österreichischen Maschinen- und Anlagenbau oder alle Phasen des Bauwesens – durch Innovationen wie digitale Zwillinge, die die Effizienz und Sicherheit verbessern. Allerdings erfordern wachsende digitale Risiken, darunter Cyberangriffe und Datenverstöße, robuste Cyber-Sicherheitsmaßnahmen und ein proaktives Risikomanagement.

Im Hinblick auf grüne Investitionen legen Unternehmen den Schwerpunkt auf erneuerbare Energien, Energiespeicherung und Kreislaufwirtschaftsmodelle, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. Die aufgrund der Haushaltszwänge Österreichs begrenzten staatlichen Mittel verlagern die finanzielle Belastung auf die Unternehmen und treiben Innovationen im Bereich der Nachhaltigkeit voran. Diese Trends erhöhen Risiken wie die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und Cyber-Bedrohungen, was von den Versicherern maßgeschneiderte Lösungen, für die sich wandelnden Geschäftsanforderungen erfordert. Trotz der anhaltenden Herausforderungen eröffnen diese Investitionen jedoch auch Möglichkeiten für innovative Versicherungsprodukte und -dienstleistungen.

Regulatorische Herausforderungen für Unternehmen

Spittau: Vor welchen regulatorischen Herausforderungen stehen Unternehmen?

Schmitt: Unternehmen sehen sich einem komplexen regulatorischen Umfeld gegenüber, insbesondere mit der Einführung neuer EU-Vorschriften wie dem Cyber Resilience Act, der zwischen 2024 und 2027 eingeführt wird, und dem AI Act (Artificial Intelligence Act), einer EU-Verordnung, die klare Regeln und Standards für den Einsatz von KI festlegt. Das EU-Paket zur Bekämpfung der Geldwäsche tritt 2027 in Kraft. Diese Vorschriften erfordern erhebliche Compliance-Anstrengungen und können insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen eine große Herausforderung darstellen. Darüber hinaus verlangt die sich ständig weiterentwickelnde Landschaft der digitalen und technologischen Risiken eine kontinuierliche Anpassung an neue regulatorische Anforderungen.

Technologische Fortschritte und Auswirkungen auf die Branchen

Spittau: Wie prägt Technologie die Unternehmen in Österreich und welche Branchen werden in den nächsten 5 bis 10 Jahren davon profitieren oder darunter leiden?

Schmitt: Technologie verändert Branchen grundlegend, wobei künstliche Intelligenz (KI) die Prozessoptimierung, Produktqualitätsverbesserungen und ein verbessertes Kundenerlebnis vorantreibt. In den nächsten 5 bis 10 Jahren wird generative KI verschiedene Sektoren wie Fertigung, Gesundheitswesen, Medien und Logistik erheblich beeinflussen. Die Fertigung wird von einer besseren Produktionsplanung und Wartung profitieren, während das Gesundheitswesen von Telemedizin und verbesserten Diagnosemöglichkeiten partizipieren wird. Auch Medien und Telekommunikation werden KI für die Erstellung von Inhalten und Live-Übersetzungen nutzen.

Kleinere Unternehmen, insbesondere in traditionellen Branchen, könnten jedoch aufgrund begrenzter Ressourcen Schwierigkeiten haben, sich anzupassen. Für ein ausgewogenes Branchenwachstum ist es entscheidend, dass diese Unternehmen den digitalen Wandel bewältigen können. Es gibt zwar zahlreiche Chancen, aber es bleibt die Herausforderung, einen gerechten Zugang zu den Fortschritten in allen Sektoren zu gewährleisten.

Transformation des Versicherungsmarktes

Spittau: Der Industrieversicherungsmarkt durchläuft aktuell eine positive Entwicklung. Bewirkt dies eine Aufweichung des Marktes?

Schmitt: Der harte Industrieversicherungsmarkt ist – sowohl national als auch international – weitgehend beendet. Versicherer streben nun erneut Wachstum an. Im Industriebereich gibt es wieder mehr Führungsangebote. Für exponierte Risiken gilt jedoch weiterhin der hohe Qualitätsanspruch beim Risikomanagement. Dies ist und bleibt der Erfolgsfaktor, nicht nur um die Widerstandsfähigkeit zu stärken, sondern auch um die Marktmöglichkeiten bestmöglich auszuschöpfen.

Spittau: Und wie sieht die Entwicklung des Marktes für Versicherungsmakler aus?

Schmitt: Derzeit gibt es in Österreich rund 5.000 Versicherungsmakler und -berater, von denen mehr als 40 % Ein-Personen-Unternehmen sind. Der Markt befindet sich jedoch in einem tiefgreifenden Wandel. Wir beobachten eine Zunahme der M&A-Aktivitäten, die durch den Bedarf an Größe und Spezialisierung getrieben wird. Der Eintritt ausländischer Makler und Private-Equity-Investoren verändert die Branche ebenfalls.

In den kommenden Jahren wird es voraussichtlich zu einer deutlichen Differenzierung zwischen den Geschäftsmodellen spezialisierter Marktteilnehmer und der breiten Palette kleiner und mittlerer Unternehmen kommen. Die Digitalisierung, der Einsatz innovativer Technologien und spezialisierter Teams werden zu entscheidenden Wettbewerbsvorteilen. Branchenführer wie GrECo investieren weiterhin vorrangig in digitale Lösungen, Forschung und Entwicklung sowie den Ausbau von nachhaltigen Beratungsdienstleistungen. Diese Bemühungen tragen entscheidend dazu bei, dass Unternehmen in einem zunehmend dynamischen Umfeld Zugang zu maßgeschneiderten Risikobewältigungslösungen für ihre sich wandelnden Risikoprofile erhalten.

Spittau: Welches Fazit lässt sich also in Bezug auf den heimischen Versicherungsmarkt ziehen?

Schmitt: Trotz der Herausforderungen durch Schadeninflation, Naturkatastrophen und steigende Kapitalanforderungen zeigt sich der Versicherungsmarkt insgesamt als stark und wachstumsorientiert. Die gute Solvenzlage und die positiven Perspektiven bilden eine solide Grundlage für Investitionen in digitale und innovative Lösungen. Das wird essenziell sein, um die heimische Wirtschaft auch künftig bei der Anpassung an die neuen Marktanforderungen zu begleiten. Auch Risikospezialisten und Versicherungsmakler werden zunehmend gefordert sein, Unternehmen mit zukunftsfähigen Bewältigungslösungen zu unterstützen, um widerstandsfähiger gegenüber neuen Bedrohungen zu werden und neue Chancen abzusichern.

Paul Johannes Spittau

Head of Group Carrier Relations & Insurance Mediation

T +43 664 537 17 42

Andreas Schmitt

Vorstand Risiko- und Versicherungstechnik

T +43 664 962 40 11

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