Michael Kolb, Vorstandsmitglied bei Acredia, Österreichs führendem Kreditversicherer, spricht mit Lisbeth Lorenz, unserer Group Practice Leader, über die politischen Auswirkungen der Energiekrise und die makroökonomische Situation der Länder des ehemaligen Jugoslawiens.
Neben all den akuten Krisen zeichnet sich am Horizont noch zusätzlich eine drohende Blockbildung zwischen EU/USA auf der einen Seite und Russland/ China auf der anderen Seite ab. Ist da nicht zu befürchten, dass Länder wie beispielsweise Ungarn oder die Türkei zwischen die Räder kommen?
Die verstärkte Blockbildung stellt sowohl die Türkei als auch Ungarn vor eine große Herausforderung. Die Türkei ist beim Energie-Import von Russland abhängig, gleichzeitig ist sie aber einer der größten Investoren in der Ukraine. Beide Interessen unter einen Hut zu bringen, wird schwierig sein. Die Lage in Ungarn gestaltet sich etwas einfacher. Zwar kommen rund 8,2% der Waren, die Ungarn importiert aus China, der größte Handelspartner ist aber Deutschland, sowohl beim Import und beim Export. Außerdem ist die ungarische Volkswirtschaft stabiler aufgestellt als die türkische, die auf eine Zahlungsbilanzkrise zusteuert.
Serbien ist aus Kreditversicherungssicht ein interessanter Markt, positioniert sich nicht eindeutig zwischen Russland und Europa, hat sich kürzlich an den IWF und an die UAE wegen finanzieller Unterstützung gewandt. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein, wohin wird der Pendel ausschlagen?
Das ist schwer vorherzusagen. Tatsache ist, dass sich die politische Lage in den letzten Jahren wesentlich stabilisiert hat, was auch positive Auswirkungen auf die Wirtschaft hat. Serbien ist zwar bestrebt, Teil der EU zu werden, der Kosovo Konflikt ist aber nach wie vor ungelöst.
Derzeit befinden wir uns mitten in einem Krisen Cocktail: Krieg, Inflation, Energiekrise, Klimakatastrophe, nukleare Bedrohung, Pandemie, Cyberkrieg, Blackout – viele, viele Themen, alles gleichzeitig. Wie werten Sie die Auswirkungen dieses Krisen-Mix, wenn Sie Österreich auf der einen Seite und die CEE Länder auf der anderen Seite betrachten.
Globale Krisen wie Krieg, Pandemien und Klimawandel betreffen ganz Europa. Die Frage ist, wie resilient die einzelnen Nationen sind. Zum Teil sind die Volkswirtschaften stark voneinander abhängig. Wenn zum Beispiel Deutschland in eine Rezession schlittert, dann hätte das große Auswirkungen auf Österreich, Tschechien, Kroatien, Slowenien und Polen.
Das Versagen der Energiemärkte scheint einen positiven Nebeneffekt zu haben: die Energiewende wird voran getrieben. Sind die Länder im CEE Raum dafür gut genug aufgestellt, vor allem in Anbetracht der teilweise hohen Abhängigkeit von russischem Gas? Wie wird sich das auf die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder auswirken? Gibt es hier einen Unterschied zwischen EU und nicht EU Länder?
Gas scheint das neue Gold zu sein. Länder, die zusammenarbeiten, sind angesichts der Komplexität des Problems klar im Vorteil. Bei der Energiewende sind die Länder im CEE Raum unterschiedlich gut aufgestellt, wie eine aktuelle Studie des World Economic Forums zeigt. Auf der einen Seite sind die „Musterschüler“ Kroatien, Slowenien, Ungarn, Slowakei und auch Tschechien. Sie verfügen über das notwendige Kapital, die erforderlichen Technologien und einen offenen Marktzugang. Auf der anderen Seite bilden Montenegro, Serbien und Moldawien Schlusslichter bei der Bereitschaft zur Transformation.

Acredia ist ja für die ehemaligen Jugoslawischen Länder zuständig, die eine sehr unterschiedliche Entwicklung gemacht haben. Wie ist Ihr Ranking dieser Länder in Bezug auf makroökonomische Perspektiven – wo überwiegen die Chancen die Risiken und wo ist es umgekehrt? (kann man natürlich auch auf CEE erweitern).
Chancen gibt es praktisch in allen Ländern, Unterschiede bestehen vor allem im Risiko. Im aktuellen Country Risk Report von Allianz Trade bewerten unsere Fachleute die einzelnen Länder wie folgt:
In Kroatien und Slowenien finden Unternehmen ein positives Umfeld, stabile politische Verhältnisse und ein überschaubares wirtschaftliches Risiko (B2 bzw. BB2) vor. Jedoch leiden beide Länder unter einer hohen Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit. Besonders das Tourismusland Kroatien hat unter den Lockdowns während der Pandemie gelitten. Der Beitritt zur EU-Währungsunion am 1.1.2023 könnte der kroatischen Wirtschaft Auftrieb geben.
Serbien wird ebenfalls mit einem mittleren Risiko (B2) bewertet. Unternehmen profitieren von einem starken Wachstumspotential, einer stabilen Währung und einer hohen Inlandsnachfrage. Nachteile sind eine mangelnde Infrastruktur, eine stark wahrgenommene Korruption und eine hohe Auslandsverschuldung.
Das Risiko in Mazedonien liegt graduell höher (C2), das Land zeichnet sich durch gute Beziehungen zur EU und einer relativ niedrigen Inflation aus. Allerdings werden notwendige Wirtschaftsreformen nur schleppend umgesetzt, die Arbeitslosenquote ist sehr hoch, genauso wie die Staatsverschuldung.
Die Lage in Bosnien und Herzegowina ist sensibel, vor allem aufgrund eines hohen politischen Risikos (D3). Das Wirtschaftsumfeld ist generell sehr schwach mit einer hohen Armut und Arbeitslosigkeit. Positiv zu bewerten sind der stabile Wechselkurs und die niedrige Inflation.
Das größte Risiko für Unternehmen weist derzeit Montenegro (D4) auf. Der EU-Beitrittskandidat hat zwar ein starkes Potential im Tourismus, die Wirtschaft ist jedoch instabil, es gibt eine stark wahrgenommene Korruption und eine seit Jahren hohe Staatsverschuldung.
Über Acredia:
Acredia, ist österreichischer Marktführer bei Kreditversicherungen, im Eigentum der Österreichischen Kontrollbank und Euler Hermes AG. Gesamtobligo von 29 Mrd. EUR per 31.12.2021 und Solvenzquote 268,5 %, per 31.12.2021.

Lisbeth Lorenz
Group Practice Leader Credit & Political Risk
T +43 664 883 805 12

Michael Kolb
Board Member at Acredia
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