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Die Dynamik der multiplen Krise ist ein Treiber für unser unternehmensweites Risk Management

Christian Oppl
März 14, 2023

Max Pernsteiner, Vice President Global Purchasing & Supply Chain, ENGEL Austria GmbH spricht mit Johannes Vogl, Geschäftsführer der GrECo Risk Engineering GmbH über Lieferketten und das Lieferkettenrisiko.

Vogl: Welche Rolle nimmt das Supply Chain Management bei einem global aufgestellten Unternehmen wie der ENGEL Gruppe heute ein? Gelingt es bei den aktuellen Rahmenbedingungen die Lieferketten aufrecht zu halten? Welche Rolle spielt der „Preis“ im Einkauf?

Pernsteiner: Vorweg: Ja, wir haben es geschafft, unser Lieferversprechen aufrecht zu halten und sehen das als oberste Priorität. Der Preis spielt im Rahmen der Möglichkeiten weiterhin eine wesentliche Rolle im Einkauf.  Wir produzieren Spritzgießmaschinen, also Maschinen, auf denen Kunststoffteile – auch für Produkte Ihres täglichen Bedarfs – hergestellt werden. Wir sind in Europa und USA Marktführer, und wir sind global präsent. Insgesamt haben wir neun Produktionsstandorte in Europa, Asien und USA und verfügen zudem über 85 Vertriebsstandorte weltweit. Und was mich im Einkauf betrifft: wir haben eine zentrale Einkaufsorganisation. Das heißt, die strategischen Entscheidungen werden in unserer Zentrale in Schwertberg getroffen. Mein Team und ich arbeiten eng mit unseren „International Offices“ in Asien, in der Türkei und in Mexiko zusammen, um auch diese Märkte als Zuliefermärkte optimal bedienen zu können.
 
Unser Absatz läuft weiterhin gut und das Funktionieren der Lieferkette ist essenziel. Wir haben den Vorteil, dass unsere Maschinen äußerst energieeffizient sind. Unsere Kunden tätigen derzeit sehr viele Ersatzinvestitionen, um Energie zu sparen und nachhaltiger zu produzieren. Der Energieanteil des Spritzgießens beträgt rund ein Viertel der Herstellkosten und dieser kann mit neuen Maschinen um bis zu
30 % gesenkt werden. Also „Lieferfähigkeit und -treue“ ist für unser Business entscheidend.
 
Vogl: Wie identifiziert ENGEL die Risiken in der bestehenden Lieferkette?

Pernsteiner: Wir führen jährlich Lieferantenbewertungen und „Supplier Performance Meetings“ für unsere Hauptlieferanten durch. Neben den Hardfacts beleuchten wir alle relevanten Bereiche, wie Qualität, Technik, Logistik, Einkauf, Customer Service. Wir bewerten die Performance und dokumentieren Abweichungen zum „Mittelwert“ und „Best of“ aller Lieferanten und jener in der „Commodity“. Wir leben Transparenz und kommunizieren die Ergebnisse des Assessments offen mit unseren Lieferanten und zeigen Verbesserungspotenziale auf.

In verbindlichen Performance Review Meetings werden mit den Lieferanten die Maßnahmen für das nächste Geschäftsjahr vereinbart. Risk Management wird bei ENGEL großgeschrieben und das leben wir auch in der Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten.
 
Vogl: Wie gehen Sie bei der Auswahl neuer Lieferanten vor?

Pernsteiner: Wir unterscheiden zwischen Lieferanten von Beschaffungsteilen und jenen von Entwicklungsteilen. „Beschaffungslieferanten“ werden über Marktanfragen ausgewählt. „Entwicklungslieferanten“ sind Lieferanten von Bauteilen, wie zum Beispiel Steuerungen, deren Entwicklungsprozess über mehrere Jahre geht. Hier führen wir nach einem Konzeptwettbewerb und strengem Auswahlverfahren gemeinsame Entwicklungsarbeiten durch. Bei diesen Teilen kann ich nicht einfach heute hier und morgen dort zukaufen. Der sorgfältigen Auswahl von Entwicklungslieferanten kommt daher ein besonders hoher Stellenwert zu. Die Einbeziehung der Unterlieferantenstruktur ist jedoch derzeit nur sehr schwer bzw. noch nicht möglich. Wir setzen aber fast überall auf eine Zwei- bzw. Multi-Lieferantenstrategie mit globaler Diversifizierung zur Absicherung der Lieferkettenrisiken. Soweit möglich gehen wir diesen Weg auch bei Entwicklungsteilen. Wir wissen, das kostet extra, hat aber in der Krise die Wirksamkeit gezeigt. Wir nehmen aktiv Geld in die Hand, um die Lieferketten zu sichern bzw. die Versorgung aufrecht zu erhalten. So kaufen wir Halbleiterchips beispielweise auch auf dem Sekundärmarkt zu.
 
Andererseits kann ein diversifizierter Einkauf über mehrere Kontinente auch Kostenvorteile bringen. Ein Beispiel. Trotz der hohen Transportkosten und der Strafzölle rechnet es sich für uns, Stahlblech in China einzukaufen, weil es in Europa einfach viel zu teuer ist.
 
Vogl: Welche methodischen Ansätze nutzen Sie bei der Lieferantenbewertung?

Pernsteiner: Unabhängig davon, wo unsere Lieferanten sitzen, führen wir Vor-Ort-Assessments zur Beurteilung der Qualitätsfähigkeit durch – sogenannte „Rapid Plant Assessments“ (RPA). Das ist eine einfache und effektive Methode, die ich 2007 entwickelt habe. Auf wenigen Seiten werden 9 Themenbereiche für die Vor-Ort-Besichtigung abgebildet, von Instandhaltung, Wartung, Ordnung & Sauberkeit über Teile Logistik, Material- & Prozessfluss sowie Qualitätsmanagement bis hin zu Governance & Compliance Kriterien. Das heißt, wir haben mittlerweile auch ESG-Kriterien wie „Umwelt“ und „Menschwürdige Arbeit“ aufgenommen. Das Ergebnis des RPA legt – dargestellt in einem Ampelsystem – fest, ob der Lieferant uneingeschränkt für Anfragen und Nominierungen freigegeben wird (grün) oder Verbesserungen eingeführt werden müssen (gelb). Ist fehlende Stabilität gegeben bzw. eine Lieferanten-Reorganisation notwendig, wird der Lieferant nicht freigegeben (rot).
 
Unser RPA-Approach hat zu einer nachweisbaren Steigerung der Qualität und damit verbundenen Reduktion des Risikos geführt und zeichnet sich besonders durch folgende 5 Merkmale aus:

  • Einfache Handhabung mit schnellen und effektiven Ergebnissen
  • Visuelle Beobachtung und nachvollziehbare Dokumentation mittels Fotos
  • Bewertung nach +/- System, keine Prozentangaben
  • Ergebnis ist eine Einschätzung des Lieferanten hinsichtlich der Qualitätsfähigkeit
  • Kann und soll künftig vermehrt bei Unterlieferanten eingesetzt werden

Vogl: Heißt das, die multiple Krise hat den Reifegrad des Risk Managements von ENGEL, insbesondere auch des Supply Chain Managements, gesteigert?

Pernsteiner: Wir sind seit Jahren gut aufgestellt und haben ein Enterprise Risk Management System implementiert. Aber ja, die Dynamik der multiplen Krise ist in gewisser Weise ein weiterer Treiber für unser unternehmensweites Risk Management. Bereits im Jänner 2020 – d. h. vor dem ersten Lockdown in der Corona-Pandemie – haben wir eine Task Force gegründet. Mittlerweile fahren wir diese Task Force im Dauermodus, um Änderungen in der Risikolandschaft zu antizipieren und flexibel auf Marktänderungen eingehen zu können.
 
Als strategische Ausrichtung stellen wir unsere digital vernetzte Produktion – mit Werken in Österreich, Asien und Amerika – in der Triade auf. Wir nutzen unsere globale Datenbasis mit abgestimmten Kennzahlen und Standards. Wir produzieren dort, wo es im Hinblick auf Qualität, Zeit und Kosten am besten ist. Materialverfügbarkeit, Strafzölle, Transportwege und -kosten, Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit, Verfügbarkeit von Fachkräften sind nur einige der zu berücksichtigenden Faktoren.

Über Max Pernsteiner:
Vice President Global Supply Chain ENGEL Austria GmbH

  • Studium der Wirtschaftsinformatik mit Promotion an der JKU Linz
  • Langjährige leitende Erfahrungen im Einkauf und Lieferantennetzwerk in der Automobilindustrie
  • Erfolgreiche Lokalisierung von Baugruppen und Fertigprodukten in Best-Cost-Countries
  • Seit 2018 verantwortlich für das globale Produktionsnetzwerk, die Suppy Chain und den globalen Einkauf bei ENGEL
  • Ehrenamtliche Tätigkeit zur Unterstützung benachteiligter Kinder und Familien

Über ENGEL:

ENGEL ist eines der führenden Unternehmen im Kunststoffmaschinenbau. Die ENGEL Gruppe bietet heute alle Technologiemodule für die Kunststoffverarbeitung aus einer Hand: Spritzgießmaschinen für Thermoplaste und Elastomere und Automatisierung, wobei auch einzelne Komponenten für sich wettbewerbsfähig und am Markt erfolgreich sind. Mit neun Produktionswerken in Europa, Nordamerika und Asien (China, Korea) sowie Niederlassungen und Vertretungen für über 85 Länder bietet ENGEL seinen Kunden weltweit optimale Unterstützung, um mit neuen Technologien und modernsten Produktionsanlagen wettbewerbsfähig und erfolgreich zu sein.

Krystle Lippert

Max Pernsteiner

Vice President Global Supply Chain
ENGEL Austria GmbH

Michael Brunner

Johannes Vogl

General Manager GrECo Risk Engineering

T +43 5 04 04 – 160

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