Jürgen Spari, Regional Manager Steiermark bei GrECo, sprach mit Georg Knill, dem Präsidenten der Industriellenvereinigung, über die Herausforderungen der Energiewende für die Industrie und über die Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf die heimischen Unternehmen.
SPARI: Die österreichische Industrie steht vor der großen Herausforderung, den Umstieg auf erneuerbare Energien zu schaffen. Sehen Sie die Energiekrise, angefeuert durch den Ukraine-Krieg, als Bedrohung für die heimische Industrie und ihre Nachhaltigkeitsziele oder als Chance für eine Beschleunigung technologischer Entwicklungen bzw. für einen schnelleren Wandel?
KNILL: Der Krieg in der Ukraine hat uns unsere Abhängigkeit von russischem Gas schmerzvoll vor Augen geführt. Würden die Gaslieferungen aus Russland von heute auf morgen gestoppt werden, würden wir eine Katastrophe von noch nicht abschätzbarem Ausmaß erleben, denn die Industrie, wie auch die gesamte Wirtschaft, braucht Erdgas – und das noch mehrere Jahre. Der entsprechende Transformationsprozess, um unsere Klima- und Energieziele 2030 und 2040 zu erreichen, ist bereits eingeleitet, braucht aber seine Zeit. Die aktuelle Unsicherheit rund um die Energieversorgung hat zu einem stärkeren Bewusstsein in der Bevölkerung geführt und somit einige Prozesse beschleunigt. Jedoch muss uns auch klar sein, dass Ressourcen, die nun in die Bewältigung dieser Krise fließen, vielleicht im späteren Verlauf nicht in die Transformation investiert werden können.
SPARI: Stichwort Lieferketten. Was lehrt die aktuelle Krise mit den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs die Industrie? Mit welchen Maßnahmen soll sie den Störungen bei Liefer- bzw. Wertschöpfungsketten entgegenwirken? Ist Nearshoring dabei ein Thema?
KNILL: Die Partizipation am Welthandel ist für Österreich ein entscheidender Faktor für Wohlstand und Beschäftigung, denn die heimische Exportquote beträgt 59 % des BIP. Der internationale Handel hat
sich nach dem Covid-Jahr 2020 nicht nur vollständig regeneriert, er war auch 2021 höher als 2019 so auch der österreichische Außenhandel. Die Globalisierung findet also nach wie vor statt. Es braucht jedoch eine weitere Diversifikation der Handelspartner, denn nur auf eine Karte zu setzen, ist nicht ausreichend. Diese Erkenntnis haben wir bereits in der Covid-Pandemie gewonnen und nun wird sie uns durch die Auswirkungen
des Ukraine-Kriegs wieder vor Augen geführt. Dies soll keinesfalls ein Abgesang der Globalisierung sein, ganz im Gegenteil, das ist ein Appell an unsere Handelspartner, klug und strategisch auszuwählen. Hierzu braucht es insbesondere weitere EU Handelsabkommen wie Mercosur oder Abkommen mit Australien und den USA. Allein durch EU-Exporte in Drittstaaten werden in Österreich insgesamt 772.000 Jobs gesichert. Nearshoring kann unter bestimmten Umständen und in manchen Branchen sinnvoll sein – das hängt aber von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, wie der Branche, dem jeweiligen Unternehmen oder der Verfügbarkeit von Rohstoffen und Arbeitskräften.
SPARI: Aufgrund der vielfältigen Herausforderungen und – gefühlt – immer häufiger auftretenden Krisen, steht die Resilienz der Industrie permanent auf dem Prüfstand. Unternehmen unterliegen einem ständigen Transformationsprozess. Welche potenziellen Krisen bzw. Risiken sehen Sie in Zukunft auf die Industrie zukommen und mit welchen Strategien können sich Unternehmen auf diese wachsende Unsicherheit
vorbereiten?
KNILL: Ich sehe aktuell drei zentrale Herausforderungen, die sich für Menschen wie auch Unternehmen in Europa und Österreich darstellen: Erstens, den brutalen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die
damit verbundene humanitäre Katastrophe. Neben den gesellschaftlichen sind auch die wirtschaftlichen Folgen zunehmend in Europa spürbar. Eine unmittelbare Folge des Krieges ist die volatile Energieversorgung, denn
Putin setzt Energieexporte als Druckmittel gegen den Westen ein und verbreitet damit Unsicherheit und Instabilität in Europa. Angesichts der derzeitigen Situation braucht es Pragmatismus im Rahmen einer
fossilen Übergangsstrategie. Erste Ansätze lassen sich, auch aufgrund unserer anhaltenden Kritik, bereits erkennen – zum einen durch den Anschluss des Speichers in Haidach und zum anderen durch die Wiederinbetriebnahme des stillgelegten Kohlekraftwerks in Mellach sowie die Sicherung der Lieferkapazitäten der OMV in der Höhe von 40 TwH. Zweitens wird der Fachkräftemangel zunehmend zu einem Arbeitskräftemangel, denn die offenen Stellenangebote im produzierenden Sektor haben sich in den letzten zehn Jahren beinahe vervierfacht. Dazu braucht es eine umfassende Fachkräfte- und Migrationsstrategie der Bundesregierung sowie ein Ausschöpfen aller Potenziale am Arbeitsmarkt. Drittens müssen Österreich und
Europa die grüne und digitale Transformation in den kommenden Jahren meistern, zum einen als Herausforderung und zum anderen auch als große Chance. Die Krisen, die wir gerade erleben, wirken auch als zusätzlicher Antrieb. Denn, dass beispielsweise Corona auch einen enormen Digitalisierungsschub
gebracht hat, steht außer Frage. Die Pandemie war in vielen Bereichen so etwas wie ein Crashkurs für die
digitale Transformation. Aber der Weg zu einem wettbewerbsfähigen Digital-Standort Österreich ist noch weit. Das zeigt auch eine neue Studie der IV und Accenture.
Ihr zentrales Ergebnis: 33,3 % der Großunternehmen nutzen Analysen und Vorhersagen aus Daten oder wenden entsprechende Geschäftsmodelle an. Bei den KMU ist der Anteil weniger als halb so hoch. Es
besteht daher nicht nur bei Klein und Mittelbetrieben, sondern auch bei den großen Playern der
Wirtschaft digitaler Handlungsbedarf. Europa verliert im Vergleich zu Amerika und Asien an Boden, besonders bei zukunftsweisenden digitalen Schlüsseltechnologien.
SPARI: Welche Bedeutung spielt das ganzheitliche Risikomanagement in Industriebetrieben?
KNILL: Die Industrie ist wandelbar und nutzt Krisen stets als Chance, um zu wachsen, sich weiterzuentwickeln
und neue Ideen umzusetzen. Das haben wir in der vergangenen Zeit mehrmals bewiesen und das beweisen wir auch heute tagtäglich. Die Risiken und Herausforderungen werden größer, so aber auch die Chancen. Um diese optimal zu nutzen, werden wir alle brauchen: Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in all ihrer Vielfältigkeit und Diversität vom Industriebetrieb bis hin zum Einzelunternehmen.
Danke für das Gespräch!
Georg Knill
Präsident Industriellenvereinigung
T +43 1 71135 0
mailto:georg.knill@iv.at
Georg Knill ist seit Juni 2020 Präsident der Industriellenvereinigung. Seine berufliche Laufbahn
begann 1993 in der Knill Gruppe, wo er u. a. als geschäftsführender Gesellschafter tätig war und derzeit als Aufsichtsratsvorsitzender der Rosendahl Nextrom GmbH fungiert.
KNILL Gruppe
Die KNILL Gruppe ist eine weltweit tätige Firmengruppe im Familienbesitz, die bereits in
zwölfter Generation von den Brüdern Christian und Georg Knill geführt wird. Der Hauptsitz
der Unternehmensgruppe befindet sich im steirischen Weiz. Die KNILL Energy Gruppe
liefert Komponenten und Systeme für die weltweite Energieindustrie, mit Schwerpunkt
auf die Stromübertragung und -verteilung. Die KNILL Technology beschäftigt sich mit der
Entwicklung und Herstellung von kundenspezifischen Fertigungslösungen für die Batterie-,
Draht- & Kabel- sowie optische Glasfaserindustrie. Mit 27 Unternehmen in 17 Ländern
und rund 2.230 Beschäftigten weltweit, erzielt die Knill Gruppe einen Umsatz von rund 336 Millionen EUR.
www.knillgruppe.com

Jürgen Spari
Regional Manager Steiermark
T +43 664 149 94 89